Mittwoch, 10. April 2013

Der Buddha aus der Vorstadt

"Dad und Anwar hatten in Bombay Tür an Tür gelebt und waren seit ihrem fünften Lebensjahr die besten Freunde. Dads Vater, der Arzt, hatte am Juhu-Strand für sich, seine Frau und seine zwölf Kinder ein wunderschönes flaches Holzhaus gebaut.[...] Dad [war] von seiner Familie nach England geschickt worden, um dort zu studieren. Seine Mutter hatte ihm und Anwar einige wollene, kratzige Unterhemden gestrickt, ihnen beim Abschied von Bombay zugewinkt und sie schwören lassen, niemals zu Schweinefleischessern zu werden. Wie vor ihm Gandhi und Jinnah sollte Dad als geschickter englisch diplomierter Rechtsanwalt und vollendeter Tänzer nach Indien zurückkehren. [...]
London und die Old Kent Road waren ein eiskalter Schock für Anwar und Dad. Es war naß und neblig; Dad nannte man Sunny Jim, es gab nie genug zu essen; und Dad hat es nie geschafft, Geschmack an Bratenfett auf Brot zu gewinnen. 'Schmeckt wie Nasenpoppel', hatte er gesagt und damit den Bann über das Nationalgericht der Arbeiterklasse verhängt. [...]
Dad und Anwar hatten Glück; sie kannten jemandem bei dem sie wohnen konnten. Dr. Lal, ein Freund von Dads Vater, war ein indischer Zahnarzt von riesenhaftem Wuchs und, so behauptete er, ein Freund von Bertrand Russell. [...]
Mit seiner dicken Wampe und seinem runden Gesicht war Anwar schon immer etwas plumper gewesen als mein Vater.[...] Sie nannten ihn Baby Face. [...] Wenn der monatliche Wechsel aus Indien eintraf, ging Dad sofort in die Bond Street, um sich Frackschleifen, flaschengrüne Westen und Socken mit Schottenmuster zu kaufen, und danach war er gezwungen sich von Baby Face Geld zu leihen. Tagsüber studierte Anwar Luft- und Raumfahrttechnik im Norden Londons, und Dad versuchte, sich hinter seinen juristischen Büchern zu vergraben. Nachts schliefen sie zwischen den Apparaturen in Dr. Lals Behandlungszimmer."

Kureishi, Hanif: "Der Buddha aus der Vorstadt", Hamburg 2005 (2010), S.38ff.

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