Donnerstag, 30. Mai 2013

Paulindiana VI: Die Symphonie der 1000


Mittlerweile erlebe ich meine Abenteuer auch digital auf Twitter, manchmal aus Zügen, von Konferenzen aber auch aus Museen. Bei diesen so genannten Kultups habe ich Ulrike aka Orchestrasfan kennengelernt. Sie organisiert nicht nur die Kultups, sondern ist auch ein ausgesprochener Klassikfan – aber keine Barockmusik! Tatsächlich gab es sogar schon mal einen Kultup beim Orchester des Hessischen Rundfunks – leider ohne mich da Samstagmorgen 10Uhr. Dennoch oder grade, weil ich dieses Ereignis verpasst hatte, lud mich Ulrike ein, auf ihrer Konzertcouch Platz zu nehmen. Zuvor hat dort schon Robert Basic gesessen und Pärt, Ligeti und Großkopf (wer kennt sie nicht?) gelauscht – und so saß auch ich Samstagabend in der Alten Oper, während draußen das Wolkenkratzerfest tobte und die Welt auf die Wembleyarena schaute.
So sieht Twitter aus.
Frau XX und Dr. Dings
Vor dem Konzert besuchten wir die „Einführungsveranstaltung“ mit der scheinbar renommierten Frau Coy und dem Direktor des Hessischen Rundfunks und Musikwissenschaftlers Dr. Sommer. Beide fachsimpelten eloquent über Mahler, seine Frau Alma, (eine Promischlampe?), die ihn für den Architekten Gropius verlies und die 8. Symphonie, umgangssprachlich als Symphonie der Tausend betitelt und von Frankfurts höchst eigenem Dialektiker Theodor W. Adorno als „Riesenschwarte“ diffamiert. 

Die 320 Musiker die in Frankfurt auf der Bühne standen sind unter anderen gleich drei Chöre, vier Harfen und sieben Solisten – ein gigantischer logistischer Aufwand – daher wird die achte Symphonie auch nur recht selten aufgeführt – in Frankfurt zuletzt vor zwanzig Jahren zur Eröffnung der Alten Oper. Die Uraufführung 1910 in München fand tatsächlich mit über 1000 Musikern statt – daher der Beiname. Mahler selber mochte diesen Namen aber nicht. Was Mahler aber mochte war sein Job – er war in Wien 1906 der Leiter der Hofmusik der damals noch glorreichen und mächtigen KuK-Herrschaft. Er nannte sich tatsächlich selbst den König des Südens. Wenn man nach Wien fährt, merkt man schnell, wie leicht man dort glauben kann, Teil eines großen, mächtigen Reichs zu sein. Die gesamte Stadt protzt und prunkt und strahlt Herrschaft aus. Das dort ein Werk entsteht, dass vor Jubel und majestätischer Größe nur so strotzt, kein Wunder. Schade nur, dass das dann alles doch bald den Bach runter ging – aber das erlebte Mahler zum Glück nicht mehr, er durfte seinen Fortschrittsglauben mit ins Grab nehmen.
Wien, ca. 1906.

Pfingsten und Faust
Jetzt aber zum eigentlichen Konzert – darüber kann man eigentlich nicht viel sagen, man muss halt dabei gewesen sein, das ephemere lässt sich immer so schwer einfangen. Trotzdem habe ich natürlich was zu erzählen: die 8. Symphonie besteht aus zwei Teilen – dem Pfingsthymnus (Veni creator Spiritus – gerne auch beim Grillen zitiert), der mir bis dato auch gar nichts sagte, und dem Ende des Faust 2. Leider waren meine Deutschlehrer so schlecht um nicht zu sagen miserabel, dass ich (damals ging das noch) Deutsch nach der 11. Klasse abwählte. Daher kreuzte Faust meinen Weg erst in Indien, als mich dort fast jeder darauf ansprach und ich diese Bildungslücke schloss. Für Teil 2 war ich dann aber leider doch nicht zäh genug. Daher erschließt sich mir die Wahl der Themen dieses Stückes nicht, man munkelt aber, dass es in Bälde einen Radiobeitrag zu eben diesem Thema geben wird. 

Zum Hörerlebnis: der erste Teil ist bombastisch, euphorisch und könnte jedem B-Movie Showdown zum Oscar verhelfen – ein einziges großes Finale bei dem ich tatsächlich Gänsehaut hatte. Der zweite Teil hingegen ist eher episch, tragend, soll sagen langweilig. Die Solisten singen deutsche Texte, die nicht zu verstehen sind, die Musik schleppt sich so dahin und zum Schluss gibt es dann noch mal ein Finale, das alle Akteure zu Höchstleistungen treibt. Danach darf man endlich klatschen – was man ja als Kulturschmock nach den einzelnen Sätzen nicht niemals nie tuen darf. Für mich wäre es stimmiger gewesen die beiden Teile in umgekehrter Reihenfolge zu spielen, aber Mahler hatte da bestimmt seine Gründe.
319 seriöse Musiker, eine Dame in Pink.

Crémant und Revolution
Nach einer langen Applaussession mit Blumen und Standing Ovations begaben wir uns dann wieder hinaus ins Getümmel des Wolkenkratzerfests – eine kleine, nasse Ohrfeige. Aber zum Glück ortskundig flohen wir dann flugs in das wahrscheinlich einzige Etablissement in dem an diesem Abend kein Fußball lief, tranken einen fröhlichen Crémant und planten die Revolution.

4 Kommentare:

  1. Was für ein schöner und amüsanter Bericht!
    Mein Ruf ist hiermit jetzt völlig ruiniert. #Barock.
    Gut aufgepasst, beim Einführungsvortrag.

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  2. Danke, Danke. Ich dachte, dass mit dem Barock wäre Programm?! Zum Einführungsvortrag: nutzloses Überhangwissen kann man immer gut brauchen :) Danke für dieses tolle Erlebnis!

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  3. Paulchen, das hast du so witzig und empathisch beschrieben - gefällt mir sehr! Vielleicht wirst du in diesem Leben noch Musikkritikerin, eine, die es versteht, zwischen der E-Kunst und ihren manchmal überforderten Zuhörern zu vermitteln und dabei die Begeisterung und Überraschung spürbar werden zu lassen. :)

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  4. Vielen Dank für die Blumen :) War aber auch echt ein tolles Konzert!

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